Kurz vor Weihnachten ist mir ein Licht aufgegangen – und zwar ein ziemlich ätzendes. Eines, dass mich unerwartet fertig machte und zum Heulen brachte. Eines, dass die Frage aufwarf ob ich die einzige war, die so dämlich war und es erst jetzt schnallte. Und eines, dass mich letztendlich unglaublich wütend macht, immer noch.

Es geht um die Verdachtsdiagnose, die wir nach der Geburt des Krümels noch im KH zu hören bekamen. Franceschetti-Syndrom… nie davon gehört… keine wirklichen Informationen von den Ärzten, wenig Infos im Internet… Gedankenkarusselle, die Amok liefen… und mittendrin immer wieder die Frage: Lassen wir ihn testen? Was würde es ändern? Die notwendigen Therapiemaßnahmen wegen der Trinkschwäche bekamen wir eh.
Ich wollte (und will) es immer wissen. Mein Mann vertrat (und vertritt) eher den Standpunkt, dass es nicht zwingend notwendig ist, da es nichts ändert und es dem Krümel gut geht.

Anfangs schoben wir die klärende Untersuchung (eine Genanalyse) auf, weil die Beihilfe sich quer stellte. Man benötige einen Kostenvoranschlag des Labors und wir müssten eine Schweigepflichtsentbindung unterschreiben, da der Fall zur Entscheidung an den zuständigen Amtsarzt weitergeleitet würde (es ermüdet mich schon, das einfach nur zu erklären). Mein Mann war zu diesem Zeitpunkt noch Beamter auf Widerruf und auf einmal keimte die Angst auf, dass diese Verdachtsdiagnose ihm die Verbeamtung kosten könnte. Immerhin ist der Gendeffekt hauptsächlich erblich bedingt und wenn sie davon ausgingen, dass er es vererbt hätte… Jedenfalls wollten wir kein Risiko eingehen und schoben eine Genanalyse auf. Die notwendigen Therapiemaßnahmen wurden ja eh übernommen und durch die zunehmend gute Entwicklung des Krümels geriet eine Klärung der Diagnose in den Hintergrund.

Trotzdem fieberte ich dem Tag der endgültigen Verbeamtung meines Mannes irgendwie entgegen und immer mal wieder warf ich die Frage in den Raum ob wir es dann klären lassen wollen. Direkt nach der Verbeamtung kontaktierte ich das zuständige Labor für einen Kostenvoranschlag, aber dabei blieb es dann auch erst einmal. Die Kiga-Eingewöhnung der Granate forderte meine gesamte Aufmerksamkeit und Kraft, der tägliche Wahnsinn mit den zwei Chaoskinder und meine depressiven Verstimmungen taten ihr übriges, dass die Klärung des Verdachts irgendwie immer im Hintergrund bleib. Schließlich hatte ich ja auch irgendwie meinen Frieden mit der jetzigen Situation geschlossen. Der Kampfzwerg entwickelt sich gut. Punkt. Und genau an dem Punkt, an dem ich loslassen konnte, mir keine Sorgen mehr machen musste, begann mein Hirn wieder damit kompliziertere Gedankengänge aufzudröseln und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Es wäre verdammt nochmal die Pflicht des besch… Krankenhauses gewesen uns mit dem Verdacht nicht im Regen stehen zu lassen, sondern diese Ungewissheit zu klären. Einen Genanalyse anzuordnen und uns klar zu sagen, was denn nun Sache ist. Blöderweise ging es dem Krümel dafür wohl nicht schlecht genug. Kind sieht normal aus, Kind benimmt sich augenscheinlich normal, also bloß keine unnötige Arbeit machen. Wie die Eltern mit der Ungewissheit umgehen? Uns doch scheißegal. Natürlich weiß ich die Beweggründe nicht, warum es nicht bereits im Krankenhaus zu einer Klärung kam, aber so fühlt es sich für mich an. Das ist die Botschaft, die mir mit der Untätigkeit vermittelt wurde.

Warum bin ich also so wütend, warum macht es mich so fertig?
Ich hasse Ungewissheit. Das ist ein Zustand, den ich nur ganz schlecht ertragen kann, der mir zu schaffen macht. Auch wenn ich mittlerweile lockerer mit der Verdachtsdiagnose umgehe, weil es dem Krümel gut geht, ist es einfach immer noch ein Thema für mich.
Bei jedem (fremden) Arztbesuch muss ich den ganzen Scheiß erklären. Innerhalb des Familien- und Freundeskreises kommt das Thema immer mal wieder hoch. Und für mich schwebt dabei immer ein riesiges Fragezeichen über uns. Nicht nur, wie es weitergeht, sondern eben, ob es nur ein Verdacht ist.

Und dann ist da noch die Tatsache, dass wir durch die Inkompetenz im KH (und ich weiß gerade nicht wie subjektiv oder objektiv diese Einschätzung zur Kompetenz ist), durch die fehlende Sicherstellung der Diagnose direkt nach aufkommen des Verdachts, wir Eltern in eine unmögliche Lage gezwungen werden.
So sehr ich mich danach sehne Gewissheit zu haben, darf ich dabei nicht (nur) an mich denken, sondern muss in erster Linie an unseren Krümel, an seine eventuelle Zukunft denken. Stigmatisiere ich ihn durch eine etwaige Bestätigung der Diagnose? Wie negativ würde diese Diagnose seine Zukunft beeinflussen? Wenn es medizinisch nicht relevant ist und es nur um ein besonderes äußeres Merkmal geht, hätte er es vorgezogen selbst die Entscheidung zu treffen? Ich muss entscheiden, was für mein Kind das Beste ist, aber woher weiß ich in einem solchen Fall ob eine Klärung des Verdachts nur für mich oder auch für das Kind das Beste ist?
Wäre im Krankenhaus alles richtig gelaufen, müsste ich mir diese Fragen jetzt nicht stellen. Die Entscheidung aus dem Verdacht eine gesicherte Diagnose zu machen, hätte im Krankenhaus getroffen werden müssen, von den zuständigen Ärzten. Einfach schon aus dem Grund, weil zu dem damaligen Zeitpunkt noch vollkommen unklar war, wie positiv oder negativ seine Entwicklung verlaufen würde.

Natürlich können wir auch nicht wissen, wie die Entwicklung des Krümels verlaufen wird, wenn wir die gesicherte Diagnose „Franceschetti-Syndrom“ hätten. Fakt ist jedoch, wenn schon im Krankenhaus klar gewesen wäre, dass er eben einfach nur eine markante Augenstellung hat, wären uns (und im übrigen auch unserer Familie) sehr viele Sorgen erspart geblieben und wir müssten uns jetzt nicht mit der Entscheidung rumquälen, ob eine Klärung der Lage notwendig ist.

Ich bleibe vorerst weiter ratlos. Ratlos in Bezug auf diesen ewigen Verdacht und ratlos bezüglich der Untätigkeit des Krankenhauses. Es ermüdet mich und mein Wunsch endlich Frieden zu schließen mit der Situation wächst ins unermessliche.

Herzlichst
Deine (erschöpfte) JennyPenny