20:45 Uhr. Die Granate liegt im Bett und schläft, Mutti ist kaputt vom ersten Kiga-Tag mit der Großen und würde jetzt auch gerne Feierabend machen. Einzig der Krümel hält das für noch keine gute Idee, spielt vergnügt mit seinem Becherturm und so kann ich auch einfach die Zeit nutzen und von meinem bisherigen Weg mit ihm berichten.

So richtig einfach, war der Krümel nämlich noch nie. Am Anfang habe ich das auf die Speed-Geburt geschoben („Das war keine Geburt, sondern ein Rausschmiss!“, so der Arzt im Krankenhaus), darauf, dass alles ein bisschen hoppla für ihn ging und er einfach ein bisschen länger braucht um anzukommen. Doch auch nach einigen Wochen wurde es nicht besser. Tagsüber kam er schlecht zur Ruhe, schlief er im Kinderwagen oder Auto ein, wurde er sofort wach sobald sich nichts mehr bewegte und schlief er auf meinem Arm ein, wachte er auf, wenn ich ihn in den Stubenwagen legte. Auch im Wachzustand brauchte er ständig meine Nähe. Obwohl er ziemlich schnell groß und schwer wurde, trug ich ihn tapfer durch die Gegend. Er hing unglaublich an mir und war auch bei mir auf dem Arm ziemlich schreckhaft und leicht zu verängstigen. Andererseits schien er wirklich alles wahrzunehmen und genau zu betrachten. Es gab also viel zu verarbeiten.
Abends war es daher besonders schlimm und er schrie mindestens eine Stunde, egal ob er satt oder hungrig war, ich ihn durch die Gegend trug oder nicht. Ich kann mir vorstellen, dass manche Mütter mit „richtigen Schreibabys“ jetzt die Augen verdrehen und denken „Die hat Sorgen!“, dennoch, schlimm war es für mich trotzdem. Denn seine Unruhe setzte sich auch nachts fort.

Von der Granate kannte ich das schon, dass ich das erste halbe Jahr fast jede Nacht zur Hälfte auf dem Sofa gepennt habe während sie sich an meine Brust kuschelte. Das wollte der Krümel auch, allerdings erst nach einer ausgiebigen Schreirunde und ebenso ausgiebigen Spaziergängen durch das Wohnzimmer. Dabei kann ich noch froh sein, dass Wohn- und Esszimmer durch einen Wanddurchbruch miteinander verbunden sind, sonst hätte ich mich wohl ziemlich schnell wie im Hamsterrad gefühlt. Die Situation setzte mir ganz schön zu. Schließlich kam ja auch noch dazu, dass die Granate auch mindestens einmal die Nacht nach mir verlangte und wehe ich war beim Krümel und der Papa kam, da war das Gebrüll aber groß. Also auch wenn der Krümel zu diesem Zeitpunkt schon schlief, hielt mich das schlechte Gewissen wach, dass ich jetzt nicht für die Granate da sein konnte, auch wenn mir wohl bewusst war, dass es ihr beim Papa nicht schlecht ging.
Und immer blieb die Frage im Hinterkopf ob ihm auch tatsächlich körperlich nichts fehlte, was wir vielleicht übersahen. Manchmal half dann die Windsalbe oder der Schmerzsaft, wenn es wirklich an Blähungen oder starken Zahnungschmerzen lag, dass er nicht zur Ruhe kommen konnte. Meist war es aber einfach nur die Tatsache, dass er nicht abschalten konnte, egal wie müde er war.

Ans Ausgehen war in den ersten Monaten nicht mal annähernd zu denken, Geburtstagsfeiern im Familienkreis sah ich auch sehr skeptisch entgegen. Da die aber meist zu Hause stattfanden, versuchte ich es wenigstens, weil ich jederzeit nach Hause konnte. Das schlimmste Erlebnis mit dem Krümel hatte ich diesbezüglich aber als er fünf Monate alt war. Meine Großtante hatte zum Geburtstag in ein Restaurant eingeladen, dass ich bereits kannte. Wir waren schon einmal zu einer Feier dort in einem schönen Saal. Mein Mann hatte an dem Abend keine Zeit, aber da die Oma mit dabei war, dachte ich, dass es schon irgendwie gehen würde, notfalls könnte ich den Krümel ja immer noch ins Tuch nehmen. Denkste Puppe…
Nix schöner großer Saal mit Bewegungsfreiheit. Ca 20 Mann waren in einem unglaublich kleinem Raum untergebracht und dazu verdonnert auf ihren Stühlen zu verharren, da das Personal ständig, aber auch wirklich ständig, sozusagen ununterbrochen, rein und raus und hin und her lief um irgendwelche Getränke oder Speisen zu bringen oder zu holen. Ein Traum für eine Mutter mit einem kleinen Säugling, für den Stillstand gleichbedeutend mit den größten Qualen der Weltgeschichte zu sein schien und einem Kleinkind, das von still sitzen natürlich auch nicht viel hielt. Die Oma kümmerte sich tapfer um die Granate, die mal hierhin und mal dorthin kletterte und von dem Essen auch nicht so begeistert war. Währenddessen machte ich einen auf tanzendes Känguruh. Den schreienden Krümel in meinem Tuch versuchte ich zu beruhigen indem ich schuckelte und buckerte während ich unentwegt irgendwelchen Kellern ausweichen musste, die tatsächlich auch noch genervt von mir waren. Das Essen verschlang ich nur mit dem Augen, wobei mir vermutlich jeder Bissen im Hals stecken geblieben wäre. Der Granate zu liebe, blieb ich, bis wenigstens sie satt war und sah dann zu, dass ich endlich nach Hause kam. Genervt und den Tränen nahe stopfte ich beide Kinder ins Auto, natürlich unter der anhaltenden Dauerbeschallung des Krümels. Und während ich noch überlegte, wie ich die Granate bei dem Gebrüll ins Bett kriegen sollte, kam mir die rettende Idee: Übernachtungsparty bei den Schwiegereltern für die Granate. Die war begeistert und die Schwiegereltern hatten glücklicherweise Zeit. Ein Problem schonmal gelöst, jetzt galt es nur noch den Wutzwerg wieder zu beruhigen. Das schaffte ich dann zwar auch irgendwie, aber für mich stand fest, dass es die letzte Feier war, auf die ich mit zwei Kleinstkindern ohne den Mann ging. Nicht nur wollte ich mir den Stress ersparen, sondern hauptsächlich dem Krümel, aber auch der Granate, die solche Schreiorgien ignorieren konnte, als sei es das wohlklingendste Geräusch auf Erden. Wofür ich sie noch mehr Liebe als ohnehin schon.

Unsere nächtliche und auch tägliche Schlafsituation verbesserte sich, als eine gute Bekannte mir von der Nonomo Federwiege berichtete und ich mich kurzerhand entschloss, dass ich die auch ausprobieren würde, koste es, was es wolle. Und was soll ich sagen: es half. Zwar nicht immer, der Krümel wollte natürlich immer noch ganz viel Nähe tanken, aber er weckte sich nicht immer selber auf. Ein Problem von Beistellbettchen und Stubenwagen war nämlich, dass er immer wach wurde, wenn er mit den Händen gegen die Gitter schlug und dann erstmal wieder sein mindestens halbstündiges Beruhigungsritual brauchte. Die weichen Stoffbahnen der Nonomo machten dieses Problem zunichte und die Feder sorgte dafür, dass es immer ein wenig schaukelte wenn er sich bewegte, so als läge er auf mir. Natürlich löste die Nonomo nicht jedes Problem, aber sie entspannte vor allem die Schlafsituation, was schon eine ziemliche Erleichterung war.

Es mag also sein, dass der Krümel nicht das Paradebeispiel eines High Need-Kindes ist. Am Anfang kannte ich den Begriff auch gar nicht und wusste nur, dass es für ein „typisches Schreibaby“ nicht schlimm genug war. Als ich jedoch die ersten Blogposts über High Need-Babies las, erkannte ich meinen Krümel schon ein wenig darin wieder und es half mir zu wissen, dass es anderen Müttern ähnlich ergeht, dass es einfach noch mehr darauf ankommt, auf das Baby einzugehen und ihm das zu geben, was es am dringendsten braucht um all die vielen Eindrücke zu verarbeiten: Nähe, Liebe, Geborgenheit. Es half mir, nicht sauer zu werden, wenn ich ihn mal wieder zu nachtschlafender Zeit durch das Wohnzimmer schuckelte, sondern Mitgefühl mit ihm zu haben und ihm die Ruhe zu vermitteln, die er brauchte. Das klappte natürlich nicht immer – je nachdem wie groß das Schlafdefizit meinerseits war – dann übernahm der Papa, bis ich wieder runtergekommen war und mich wieder auf ihn konzentrieren konnte.

Nach einem Jahr kann ich sagen, dass sich die Situation deutlich gebessert hat – noch so ein typisches Indiz für High Need. Er ist neugierig, kletterverückt und unglaublich gern mit anderen Kindern zusammen. Nur mit dem Einschlafen tut er sich nach wie vor schwer, aber auch das wird sich wohl irgendwann legen.

Herzlichst
Eure JennyPenny