Direkt nach der Geburt des Krümels zu erfahren, dass er vielleicht an einem seltenen Gendeffekt „leidet“ und unklar ist, wie sehr ihn das jetzt und in Zukunft noch beeinträchtigen wird, war ein Schock und die unbeschwerte Wochenbettzeit ziemlich überschattet von diesem Verdacht. Klar war nämlich relativ wenig. Die Hörtests waren in Ordnung, obwohl es beim rechten Ohr nicht auf Anhieb klappte und sonst sah auch erstmal alles gut aus. Welche Beeinträchtigungen aber im Laufe der Zeit noch auftauchen könnten oder auch nicht, konnte uns keiner sagen.

Jeder von uns hatte eine andere Strategie mit dieser Ungewissheit umzugehen und mein Mann und ich unterschieden uns dabei sehr.
Natürlich war auch er sehr besorgt, fuhr aber besser damit erstmal davon auszugehen, dass es nur ein Verdacht sei, der sich nicht bestätigen würde, dass der Krümel sich ganz normal entwickeln würde und einfach nur ein wenig markanter aussähe – wegen der Stellung seiner unteren Augenlider – als andere Kinder.
Ich konnte mit dieser Bewältigungsstrategie jedoch nichts anfangen. Gedanken machten wir uns beide gleich und wir beide googelten auch wie verrückt, aber ich glaube, mein Gedankenkarussell lief Amok. Mein Sorgentank war randvoll und ich war mir ziemlich sicher, dass die Trinkschwäche, die sich nach dem Krankenhaus relativ schnell rausstellte, nicht die einzige Beeinträchtigung sein würde. Ich bin generell ein Mensch, der in vielen Situationen zwar hofft, aber lieber vom worst case ausgeht um dann positiv überrascht zu werden. So suchte ich im Internet nicht nur nach Informationen über das Franceschetti-Syndrom, sondern auch bereits nach Spezialkliniken, die sich mit solchen „Krankheitsbildern“ auskennen – nur für den Fall, dass…

Was mich zu dieser Zeit fast wahnsinnig machte, waren die lieb gemeinten Beschwichtigungsversuche von Freunden, Bekannten und Verwandten. Oft versuchten sie uns nämlich zu beruhigen, indem sie sagten, dass der Krümel ja anscheinend Glück gehabt und nur eine leichte Form habe, dass es ja gar nicht so auffällig sei und sich bestimmt alles gut entwickeln würde. Ich nickte dann immer höflich, kam mir aber insgeheim in meiner Sorge um das kleine Menschlein nicht ernst genommen vor. Am liebsten hätte ich laut geschrien und gefragt, ob sie denn Tomaten auf den Augen hätten, wenn sie sagten, dass man es ja kaum sehen würde. Ich hatte dann immer das Gefühl relativieren zu müssen, denn das Aussehen war ja nicht das einzige „Problem“. Was sich darunter versteckte, seine Entwicklung blieb trotz durchaus positiver Anzeichen ungewiss. Und obwohl wir uns alle sorgten und ich es nicht war, fühlte ich mich manchmal ziemlich allein mit meiner großen Sorge um die Zukunft des Krümels.

Auch wenn mein Kopfkarussell mit Mörderspeed unterwegs war und ich mir viele Sorgen um die Zukunft machte, war es nicht mein Anliegen die ganze Sache überzudramatisieren, obwohl das bei anderen vielleicht nicht immer so ankam. Ich wollte es nicht schlimmer darstellen, als es war, aber ich wollte es auch nicht kleinreden.
Es ist als Beteiligter in so einer Situation nicht möglich objektiv zu bleiben. Ich glaube aber auch nicht, dass es notwendig oder gar hilfreich ist. Wir Menschen – und vielleicht im Besonderen wir Eltern, wenn es um unsere Kinder geht – werden nunmal stark von unseren Emotionen beeinflusst und es ist gut und wichtig, diese zuzulassen. Wie man damit umgeht, bleibt natürlich jedem selbst überlassen.
In der Anfangszeit mit dem Krümel und diesem Verdacht, war es sowohl für meinen Mann als auch für mich schwer mit der jeweils anderen Bewältigungsstrategie umzugehen. Wir haben viel darüber geredet und letztendlich akzeptiert, dass wir nunmal unterschiedliche Strategien haben.
Mit zwei kleinen Chaoskindern ist es nicht einfach die Zeit und Motivation aufzubringen, aber wichtig war und ist es immer miteinander zu reden, in Kontakt zu bleiben und bei allem Trubel und Gefühlschaos den Anderen nicht aus den Augen zu velieren.

Herzlichst
Deine JennyPenny